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Berlin
Mietendeckel: Die Stadt ohne Gedächtnis

Erst wird in Berlin die Freiheit vergessen, dann die Marktwirtschaft.
Paqué
Karl-Heinz Paqué © Photothek / Thomas Imo

Was haben Rosinenbomber und Vermieter gemeinsam? Ganz einfach: In Berlin anno 2019 sind sie nicht willkommen.

Zum 70. Jahrestag der Luftbrücke durften amerikanische Geschwader von historischen Flugzeugen in Berlin nicht landen. Was für ein erbärmliches Signal! Die ehemals belagerte und geteilte Stadt der Freiheit will kein Dankeschön sagen an jene, die ihre Freiheit verteidigt haben. Und sie will auch keine Bilder eines Volksfests, bei dem Tausende von Berliner Jungs und Mädels die Süßigkeiten verschlingen, mit denen auch jüngst die Rosinenbomber voll gepackt waren - ganz abgesehen von den Fotos deutscher Rentner, die mit den amerikanischen Veteranen Barbecue und Bier genießen und unter Tränen die heldenhafte Vergangenheit hochleben lassen - und zwar trotz Donald Trump!

Nein, die Erinnerung stört den rot-rot-grünen Senat. Das Gleiche bei dem "Mietendeckel", der kurz danach auf den politischen Weg gebracht wurde. Im dreißigsten Jahr des Mauerfalls reicht doch eigentlich ein Blick ins Fotoalbum, um sich an den Zustand der Bausubstanz in der Ostberliner Planwirtschaft und der Westberliner "Inselökonomie" bis 1989 zu erinnern: heruntergekommene Altbauwohnungen aus der Wilhelminischen Zeit en masse, mit einem Renovierungsrückstand von Jahrzehnten - im Osten katastrophal, aber auch im Westen durchaus dramatisch, jedenfalls im Vergleich zu München, Hamburg, Frankfurt oder Düsseldorf.

Der Grund: Mieten, die nicht annähernd die Kosten der Instandhaltung deckten; und Vermieter, die deshalb nichts oder viel zu wenig investierten. Der fünfjährige Mietstopp, den der rot-rot-grüne Senat nun verabschiedet, wird Berlin diesem Zustand wieder ein gutes Stück näher bringen. Dies ist ja geradezu politisch beabsichtigt: Man will den Anreiz nehmen, Wohnungen zu modernisieren - und damit der "Gentrifizierung" begehrter Stadtteile im Zentrum entgegenwirken. Die Folge wird allerdings pervers ausfallen. Verkauf statt Vermietung wird das neue Motto sein. In Berlin-Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Kreuzberg werden Mietshäuser in Eigentumswohnungen zerlegt werden, um sie - außerhalb des Mietpreisdeckels - individuell zu verkaufen. Es wird dann genau das Gegenteil von dem erreicht, was man wollte: noch mehr Zuzug von Wohlhabenden, noch mehr Verdrängung alteingesessener Mieter, noch mehr Gentrifizierung.

Wie überhaupt die Folgen des Mietendeckels viel harmloser aussehen, als sie sind. Denn Berlin wächst kräftig, und das ist gut so. Es wäre überhaupt nicht verwunderlich, wenn in fünf Jahren durch Inflation und Zuzug in die Stadt die Mieten jährlich um vier Prozent anziehen würden - eine Zunahme um über 20 Prozent, die einen enormen Anreiz zu Neubau auf ungenutzten Flächen und Erweiterung und Renovierung der Altbausubstanz bieten würden. Die Lösung, um diesen Mietanstieg zu zügeln, heißt natürlich: das Bauen erleichtern. Dafür gibt es in Berlin eine Fülle von Möglichkeiten: Randbebauung des riesigen Tempelhofer Feldes (mit bezahlbaren Wohnungen!), endlich die Bebauung der vielen bundeseigenen Brachflächen der Stadt, Entschlackung der extrem bürokratischen Bauordung, Abschaffung der Grunderwerbsteuer und Ausbau der Infrastruktur tief ins Umland, um den Zuzug ins dünn besiedelte Brandenburg zu erleichtern.

All dies verlangt allerdings eines: ein Gedächtnis für die gruselige planwirtschaftliche Vergangenheit der Stadt; und eine neue Willkommenskultur gegenüber jenen vielen Zuwanderern, die Berlin eine große Zukunft als vibrierende europäische Metropole versprechen und auch den Osten Deutschlands wirtschaftlich mitziehen werden. Es ist nichts anderes als der Abschied vom gemütlichen Provinzgefühl der subventionierten Hauptstadt zu einem expandieren Wachstumspol, der Mitte des Jahrhunderts mehr als fünf Millionen Menschen beherbergen könnte. Und dies, wenn die Politik mitzieht, bei ausreichendem und bezahlbarem Wohnraum!

Denn eines ist klar: Je mehr sich der rot-rot-grüne Senat gegen diese Entwicklung stemmt, umso größer wird die Unzufriedenheit der Menschen, wenn sie keine Wohnungen finden, weil keine da sind, oder weil diejenige, die sie bewohnen, Schritt für Schritt verfällt. Eine schiefe Bahn! Sie führt in die Vergangenheit, die der Berliner Senat nicht wahrhaben will.