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Bayernwahl 2018
Die Oktober-Revolution

Eine Analyse der bayerischen Wahlergebnisse
Bayerischer Landtag

Wie wird die neue Koalition im bayerischen Landtag aussehen?

© Streetflash / iStock / Getty Images Plus

Landtagswahlen in Bayern waren in den vergangenen Jahrzehnten ungefähr so spannend wie Spiele des FC Bayern in der ersten Runde des DFB-Pokals. Zweimal ging es schief, als 1945/46 und 1950 die CSU nur Zweiter wurde, hinter der SPD, die dann den Ministerpräsidenten stellte. Ansonsten: immer Sieger, seit 1966 nur einmal nicht mit absoluter Mehrheit, Stimmenanteile zwischen 56 und 62 Prozent.

Vorbei. Das gestrige Wahlergebnis sieht die CSU auf Talfahrt. Mit 37,2 Prozent der Stimmen und damit dem zweitschlechtesten Ergebnis bei einer Landtagswahl in Bayern seit 1950 finden sich die Christsozialen nun in dem Korridor der Ergebnisse der CDU-Landesverbände aus Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Thüringen – und aufschauend zur Saar-CDU, zum Beispiel.

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Deswegen verlor die CSU massiv an Stimmen

Die Stimmenverluste der CSU resultierten dabei aus massiven Abwanderungen bisheriger Wählerinnen und Wähler zu den Grünen (-170.000), zur AfD (-160.000) und zu den Freien Wählern (-160.000). Wäre es nicht gelungen, in hohem Maße vorherige Nichtwähler diesmal zur Stimmabgabe zu motivieren (+270.000), wäre das Ergebnis noch negativer ausgefallen. Insbesondere die Arbeiter und die Rentner wandten sich von den Christsozialen ab. Und auch der Ministerpräsident und Spitzenkandidat war kein Erfolgsgarant: „Söder entfaltet weniger Zugkraft als Seehofer 2013“, schreibt Infratest dimap.

Da hilft es den erfolgsverwöhnten Christsozialen wenig, dass die SPD mit 9,5 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis überhaupt in Bayern und bundesweit erzielt hat. Die Sozialdemokraten mussten an alle anderen Parteien, zum Teil massiv, Stimmen abgeben – am meisten dabei an die Grünen (-200.000), aber auch an die CSU (-100.000). Es fällt auf, dass die SPD durch alle Berufsgruppen hindurch gleichförmig an Zuspruch verlor. Nach den Analysedaten von Infratest dimap scheiterte die SPD vor allem an fehlender Kompetenzbeimessung: Dass die Sozialdemokraten am besten geeignet seien, die wichtigen aktuellen Probleme zu lösen, sagten nur 8 Prozent der am Wahltag Befragten – bei der Befragung im September waren es noch 17 Prozent gewesen.

Umgekehrt gilt dies für die Grünen, die mit 17,5 Prozent der Stimmen ihr bestes Ergebnis aller Zeiten in Bayern feiern dürfen. Die Wähler/innen der Grünen rekrutieren sich, ersichtlich aus den Wahlanalysen von Infratest dimap, personell zum einen aus den Konservativen, die bei der letzten Bayern-Wahl noch CSU gewählt haben (170.000), zum anderen aus der Gruppe der ehemaligen SPD-Wähler (200.000), aber auch aus bisherigen Nichtwählern (140.000), und politisch aus der Kompetenzbeimessung in den Sachthemen, und hierbei vor allem aus den schöpfungsbewahrenden Politikfeldern von Umwelt- und Klima- bis Naturschutz. Sie sind die am zweitmeisten (13%) genannte Partei, wenn es ums Zutrauen geht, die wichtigsten Probleme des Landes zu lösen.

Die AfD-Wählerschaft ist heterogen

Der Großteil der übrigen CSU-Renegaten ging zum einen zu den Freien Wählern (160.000), die 11,6 Prozent der Gesamtstimmen erreichten – dabei aber kräftig (-60.000) an ehemaligen Wählern an die AfD abgaben. In gleichem Umfang wechselten ehemalige CSU Wähler zur AfD, die 10,2 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinte. Dabei ist die Wählerschaft der AfD, die sich ja in Bayern zum ersten Mal zusammenfindet, in ihrer Heterogenität durchaus interessant. Die Hauptwählerschaft ist zwischen 25 und 59 Jahren alt, vornehmlich in der Berufsgruppe der Arbeiter und – in  den Kategorien von Infratest dimap – eher in den mittleren und niedrigen Bildungsschichten zu finden. Der Anteil der mit der persönlichen wirtschaftlichen Lage Unzufriedenen ist signifikant hoch, so wie auch der Anteil derer, die angeben, die AfD nicht aus Überzeugung, sondern aus Enttäuschung gewählt zu haben.

Auffällig ist, dass die AfD-Wähler sich überdurchschnittlich frühzeitig zur Stimmabgabe entschieden haben. Die AfD schöpft dabei offensichtlich ihr Potenzial in hohem Umfang aus: Dass sie es gut fänden, wenn die AfD im Landtag vertreten wäre, sagten in der Vorwahlumfrage von Infratest dimap gerade einmal 17 Prozent der Befragten.

Die FDP schafft den Wiedereinzug – mit Sachpolitik

Dass die FDP in dieser politischen Großwetterlage den Wiedereinzug in den Landtag geschafft hat, ist durchaus bemerkenswert. 5,1 Prozent der Wählerstimmen wurden erreicht, dabei wurden insbesondere ehemalige Nichtwähler (50.000) und CSU-Wähler (40.000) hinzugewonnen, und auch bei den in den letzten fünf Jahren neu nach Bayern Zugezogenen (40.000) gab es deutliche Gewinne. Die Gründe, die in den Analysen dafür angegeben wurden, sind interessant: In einem Wahlkampf, in dem das Schrumpfen der CSU und die Krise ihres Spitzenpersonals im Zentrum des Interesses stand, die Implosion der SPD, der Höhenflug der Grünen, die bayerische Sonderheit der Freien Wähler, die Gefahr von rechts oder der grundsätzliche Protest – da überzeugte die FDP mit Sachpolitik. 70 Prozent der FDP-Wähler gaben an, aus inhaltlichen Gründen für die Freien Demokraten gestimmt zu haben; 58 Prozent sagten, sie hätten aus Überzeugung die Freien Demokraten gewählt. Das hatte sich angekündigt: 53 Prozent hatten sich kurz vor der Wahl dafür ausgesprochen, dass die FDP wieder im Parlament sein solle – so bildet sich politische Relevanz.

Was bleibt der CSU? Zunächst einmal muss sie lernen, zu regieren, ohne zu meinen, dass ihr allein das Land gehört – also anders als zwischen 2008 und 2013. Ganz im Gegenteil: Die CSU wird in rauem Wind stehen, denn jeder der potenziellen Koalitionspartner wird versuchen, die Schwäche der CSU zur eigenen Profilierung zu nutzen.

Die von Infratest dimap Befragten fänden zu 45 Prozent eine Koalition aus CSU und Freien Wählern gut, zu 39 Prozent eine Koalition aus CSU und Grünen. Grundsätzlich möglich ist vieles: Von Schwarz / Grün über Schwarz / Freie Wähler oder Schwarz / Rot / Gelb oder Schwarz / Rot / Freie Wähler. Und in Zeiten, wo der FC Bayern im Mittelfeld der Bundesliga steht, ist vielleicht sogar vieles vorstellbar. Die bayerische Oktober-Revolution hat gerade erst begonnen.

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