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Außenpolitik
Chinapolitik der USA: Ein bemerkenswerter Kurswechsel

Mike Pompeo
Mike Pompeo bei einer Pressekonferenz © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Saul Loeb

Die Trump-Regierung hat sich dazu entschieden, alle Beschränkungen für diplomatische Kontakte mit Taiwan aufzuheben. Der Adressat der Botschaft ist klar: Peking. Doch was ist das Ziel dieser scharfen Wendung?

Sätze, die bis vor Kurzem noch unmöglich schienen:

„Taiwan ist eine lebendige Demokratie und ein zuverlässiger Partner der Vereinigten Staaten, und trotzdem hat das Außenministerium über mehrere Jahrzehnte hinweg komplexe interne Beschränkungen geschaffen, um die Interaktionen unserer Diplomaten, Soldaten und anderer Beamter mit ihren taiwanischen Amtskollegen zu regeln. Die Regierung der Vereinigten Staaten ergriff diese Maßnahmen einseitig, um das kommunistische Regime in Peking zu beruhigen. Schluss damit!“

Mit diesem Absatz beginnt das Statement des amerikanischen Außenministers Mike Pompeo, das er am 9. Januar überraschend veröffentlichte. Damit sind ab sofort  alle Beschränkungen für Besuche von US-amerikanischen Amtsträgern aufgehoben – theoretisch könnte jetzt auch der amerikanische Präsident einen Staatsbesuch in Taiwan machen. Und all das, obwohl die USA Taiwan weiterhin nicht offiziell anerkennen. Grund dafür ist die One-China-Policy, der sich die USA – genauso wie Deutschland und viele weitere Staaten – verpflichtet haben: Demnach gibt es nur ein China, zu dem die demokratisch und unabhängig regierte Insel Taiwan gehört. Wer mit Peking diplomatische Beziehungen unterhalten will, muss sich an diesen Grundsatz halten.

Dementsprechend scharf war dann auch die Reaktion aus Peking auf den Kurswechsel in Washington. Eine Sprecherin des chinesischen Außenministeriums kommentierte, einige "antichinesische Politiker" würden in ihrer verbleibenden Amtszeit alles tun, um die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik zu untergraben. Man hoffe und wisse, dass jene in den USA „einen hohen Preis für ihr Fehlverhalten bezahlen werden."

Die Reaktionen aus Taiwan waren hingegen erfreut, aber zurückhaltend. Der taiwanische Außenminister bedankte sich via Twitter bei Pompeo für die Aufhebung des Dekretes. Präsidentin Tsai äußerte sich nicht direkt, sondern twitterte dass sie sich freue, die amerikanische UN-Botschafterin willkommen zu heißen. Die taiwanischen Zeitungen waren deutlicher: Man hofft, dass mit Pompeos Dekret die Beziehungen zu den USA sich weiter intensivieren und mehr offiziellen Beziehungen annähern.

Unter Trump intensivierten sich die Beziehungen zu Taiwan stetig

Fest steht: Die Verlautbarung von Pompeo ist eine scharfe Abkehr von der vorherigen Politik. Aber weshalb jetzt?

Es ist in der Tat sehr ungewöhnlich, 11 Tage vor der Amtseinführung eines neuen Präsidenten solche tiefgreifenden Änderungen zu verkünden. Schon fast von Beginn an ging die Trump-Regierung mit den Machthabern in Peking auf Konfrontationskurs – aber solch deutlichen Widerstand an den Grundprinzipien jeglicher Zusammenarbeit mit Peking hatte es dennoch nie gegeben, nicht einmal auf dem Höhepunkt des Handelskriegs zwischen den beiden Großmächten.

Abgezeichnet hatte sich aber durchaus ein Taiwan-freundlicher Kurs unter Präsident Trump. Immer wieder waren amerikanische Amtsträger nach Taipei gereist. Gleichzeitig hatten sich Qualität und Volumen der Rüstungsgeschäfte der USA mit Taipei deutlich erhöht. Und zuletzt kündigten die Thinktanks der demokratischen sowie der republikanischen Partei noch beide an, 2021 Büros in Taiwan zu eröffnen.

Signalwirkung für andere Länder oder Kalkül?

Was aber trieb Pompeo zu seinem Vorstoß? Vielleicht ging es dem US-Außenministerium darum, noch vor der Übergabe an das Team des nächsten US-Präsidenten Joe Biden den eingeschlagenen Kurs zu zementieren. Taiwan hat heute einen anderen Stellenwert in der amerikanischen Außenpolitik und Wahrnehmung als noch vor vier Jahren. Aber so könnte es Biden auch deutlich schwerer fallen, wieder auf Peking zuzugehen. Dank des Handelskriegs steht er ohnehin vor der Übernahme eines völlig zerrütteten US-China-Verhältnisses. Ein vergiftetes Geschenk der Trump-Regierung an den verhassten Nachfolger also?

Vor einem weiteren Coup, der Peking noch mehr verärgern dürfte, schreckte die Trump-Regierung dann in letzter Minute offenbar doch noch zurück. Eigentlich stand in dieser Woche ein dreitägiger Besuch der amerikanischen UN-Botschafterin Kelly Craft in Taipei an. Es sollte der erste Besuch einer amerikanischen UN-Botschafterin seit 1968 werden. Am Mittwoch, dem Tag, an dem Craft eigentlich auf der Insel hätte landen sollen, ließ das US-Außenministerium überraschend mitteilen, die Reise sei gecancelt worden. Als Grund gab es laut BBC den anstehenden Präsidentschaftswechsel an. Vertreter der taiwanischen Regierung zeigten sich enttäuscht, drückten aber auch Verständnis für die Entscheidung aus Washington aus.

Ob ein solch historischer Besuch bald nachgeholt werden wird, ist nicht klar. Dabei steht der zukünftige Präsident Biden Taiwan keineswegs ablehnend gegenüber. Er stimmte schon 1979 für den ersten Taiwan-Relations Act, der daraufhin die Beziehungen zu Taiwan regelte. Eine zugewandtere USA, die sich auf Basis von inhaltlicher Verbundenheit und gemeinsamen Werten Taiwan mehr öffnet, hat auch eine Signalwirkung. So könnten weitere liberale Demokratien dem Beispiel folgen.

Intensivere internationale Beziehungen zu anderen Ländern kämen für Taiwan gerade zur rechten Zeit. Es ist keine zwei Jahre her, dass Chinas Präsident Xi Jinping den Taiwanern klarmachte, dass die Volksrepublik auch Gewalt anwenden werde, wenn sich Taiwan nicht freiwillig mit dem Festland vereine. Lange hatte die Führung in Peking noch davon gesprochen, dass sich Taiwan auch nach dem Muster Hongkongs der Volksrepublik wieder annähern könne. Doch das ist für viele Taiwaner so wenig attraktiv wie nie. Schließlich hatte man sich in Hongkong nach der Rückgabe von Großbritannien an China auf das Prinzip „Ein Land – Zwei Systeme“ auf fünfzig Jahre verpflichtet. Nur 23 Jahre später ist von der versprochenen Autonomie kaum etwas übriggeblieben. Erst vor wenigen Wochen wurden dort gewählte Parlamentarier verhaftet, weil sie Vorwahlen abhalten, gegen Budgets stimmen – und ihre gesetzlich zugesicherten Bürger- und Freiheitsrechte einfordern.

Mit solchen finsteren Aussichten kann Taiwan jeden Freund gebrauchen.

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