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Aufbruch in eine neue Zeit?

Nach neun Jahren ohne Wahlen: wie geht es mit dem Libanon nun weiter?
Libanon: Nach 9 Jahren ohne Wahlen

Höher, größer, bunter: Friedliche Parteikoalitionen an der Straße

© FNF

Das libanesische Parlament verlängerte sich in den letzten neun Jahren mehrmals selbst die Legislaturperiode. Begründet wurde dieses verfassungswidrige Vorgehen zunächst mit Sicherheitsbedenken und der logistischen Umsetzung des neuen Wahlgesetzes, welches der Libanon bei dieser Wahl erstmalig anwendet. Bis zum Schluss war auch das Stattfinden dieser Wahl mit großen Fragezeichen versehen. Schon das macht die Situation für den Libanon nun sehr besonders. Libanon-Experte Dirk Kunze im Interview.

Was macht die bevorstehende Wahl im Libanon zu etwas Besonderem?

Das libanesische Parlament verlängerte sich in den letzten neun Jahren mehrmals selbst die Legislaturperiode. Begründet wurde dieses verfassungswidrige Vorgehen zunächst mit Sicherheitsbedenken, ob der innenpolitischen Lage, und zuletzt mit der logistischen Umsetzung des neuen Wahlgesetzes, welches der Libanon bei dieser Wahl erstmalig anwendet. Bis zum Schluss war auch das Stattfinden dieser Wahl mit großen Fragezeichen versehen. Schon das macht die Situation für den Libanon sehr besonders.

Der nächste Punkt, der diese Wahlen als etwas Besonderes und Historisches kennzeichnet, ist das neue Wahlgesetz und die damit verbundenen neuen Optionen für den Wähler. Das neue Wahlgesetz ist nicht perfekt, stellt aber eine erhebliche Weiterentwicklung des bisherigen Status Quo dar. Angefangen mit der Einführung von vorgefertigten Stimmzetteln (Syrien ist damit das letzte Land der Welt, in welchem die Wähler auf leeren Blättern die Namen der Kandidaten aufschreiben, um ihre Stimme abzugeben), über die Einführung von Elementen des Verhältniswahlrechts, bis hin zu dem Umstand, dass eine Nachverfolgung konkretem Wahlverhaltens – bisher durchaus üblich – nun fast unmöglich geworden ist. Man kann grundsätzlich feststellen: Zum ersten Mal ist die Wahl im Libanon mindestens auf dem Papier auch wirklich frei.

Libanon: Nach 9 Jahren ohne Wahlen

Kandidatenschau im Straßenbild Beiruts

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Was bedeutet die Wahl für die politischen Verhältnisse im Land?

Das bisher schon grundsätzlich komplizierte Wahlsystem, welches konfessionelle Quoten berücksichtigt, ist nun noch ein Stück weit komplizierter, aber auch repräsentativer geworden. Durch die zusätzliche Einführung des Verhältniswahlrechts ist der Wahlausgang etwas unberechenbarer geworden und schon aus diesem Umstand schöpfen große Teile der Zivilbevölkerung jetzt Hoffnung und Mut: Vielleicht kann ich mit meiner Stimme wirkliche Veränderungen im Land herbeiführen? Dies zeigt sich auch in der großen Anzahl von Kandidaten, und einer tausendprozentigen Steigerung von weiblichen Kandidatinnen im Vergleich zur letzten Wahl. Zum größten Teil sehen sich diese neuen, nicht den alten Machtblöcken zugeordneten Kandidaten selbst als zivilgesellschaftliche Kräfte und damit in Opposition zu fast allem, was die bisherige politische Gesellschaft hervorgebracht hat. Häufig hängen sie eher linken Konzepten und Ideologien an, die man aber in der arabischen Welt gerne als liberal bezeichnet. Das einige von ihnen ein Mandat erringen, steht zu erwarten. Das sie aber zu einer relevanten politischen Kraft werden, ist nicht absehbar. Sicher ist jedoch, dass Future Movement, die Partei des derzeitigen Premierministers Saad Hariri, Sitze verlieren wird – auch dies hängt mit dem neuen Wahlrecht zusammen. Die eigentliche – politische – Frage, die mit dieser Wahl aber verbunden ist, steht im Zusammenhang mit dem Abschneiden der schiitischen Parteien (Hisbollah, Amal Movement): Wie groß wird ihr Zugewinn sein und welche Auswirkungen wird dies auf die sorgsam austarierte Machtbalance im chronisch fragilen Libanon haben? Die Zweiteilung in das pro-syrische Lager der „Allianz des 8. März” und der eher pro-westlichen Gegner der damaligen syrischen Besatzer der „Allianz des 14. März” hat zwar in der Vergangenheit immer weiter an Bedeutung verloren, doch gerade in den letzten Wochen und Monaten hat diese Dichotomie vor dem Hintergrund der Gesamtsituation in der Region wieder an Kraft gewonnen. Vor dem Hintergrund der andauernden Konflikte in der Region, werden diese Blöcke nach der Wahl somit nicht an Relevanz verlieren. Es wird jedoch zu beobachten sein, inwieweit sie nicht destabilisierend wirken.

Libanon: Nach 9 Jahren ohne Wahlen

Partystimmumg zum Wahlkampfauftakt des Staatspräsidenten

© FNF

Was können Deutschland oder die Europäische Union tun, um dem Libanon in der aktuellen Situation behilflich zu sein?

Wichtig ist, dass sich Deutschland und die Europäische Union darauf verständigen nicht nur an den Symptomen der schwierigen Situation in der Region zu arbeiten. Was im Libanon passiert hat direkte Auswirkungen auf Deutschland. Schon deshalb ist es unsere Aufgabe den Libanon bei der Bewältigung aktueller Herausforderungen zu unterstützen – und wenn nicht unilateral als starke Bundesrepublik, dann in jedem Fall als Triebfeder innerhalb der Europäischen Union. Der Libanon trägt durch die enorme Zahl der aufgenommenen Flüchtlinge aus dem Nachbarstaat Syrien eine sehr große Last. Wir alle sollten ein Interesse daran haben, dass der Libanon nicht unter dieser Last zusammenbricht und somit zum Nährboden für Extremisten oder Schauplatz größerer Einflussnahme von Außen wird. Wir haben auch kein Interesse daran, dass sich wohlmöglich die im Libanon aufgenommenen Flüchtlinge auf den Weg nach Europa machen – Deutschland wäre das primäre Ziel dieser Flüchtlinge. Das heißt, der Libanon hat eine unglaublich hohe Relevanz und Brisanz für Deutschland. Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass Deutschland eine aktive Rolle bei der Brüssel-Konferenz Ende April 2018 eingenommen hat und bis zu 1,7 Milliarden versprach. Die internationale Gemeinschaft sollte darauf achten, dass dieses Engagement tatsächlich umgesetzt wird, um den Strukturen im Libanon die nötige Hilfe zu geben, wo sie gebraucht wird. Es ist wichtig, dass die Bundesrepublik jetzt als verlässlicher Partner zur Verfügung steht. Der Libanon muss merken, dass die internationale Gemeinschaft, und allen voran Deutschland, den Zedernstaat nicht allein lässt.