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Argentinien
Argentinien nach den Vorwahlen: Ein tiefer Fall

Macris schlechtes Abschneiden bei den Vorwahlen in Argentinien lösten fast ein Erdbeben aus, analysieren Lars-André Richter und Marcelo Duclos
Macri

Argentiniens Präsident Mauricio Macri.

© picture alliance/Kyodo

Am Sonntag fanden Vorwahlen in Argentinien statt. Eigentlich eine reine Formalie. Trotzdem löste das Ergebnis ein Erdbeben aus.

Am 27. Oktober steht den Argentiniern ein veritabler Superwahlsonntag ins Haus. Der Präsident wird bestimmt und die Zusammensetzung von Abgeordnetenhaus und Senat. Gewählt wird außerdem in einem Teil der Provinzen: Gouverneure und Bürgermeister, Provinz- und Kommunalparlamente.

Am vergangenen Sonntag fanden Vorwahlen statt, die sogenannten PASOs (Primarias Abiertas Simultáneas y Obligatorias). Entschieden wird dabei, welche Spitzenkandidaten und Kandidatenlisten sich im Oktober dem Wettbewerb um die Top-Positionen der Exekutive sowie um die Parlaments- und Senatssitze auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene stellen dürfen.

Ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig

Die meisten Parteienbündnisse hatten ihre Kandidatenfrage bereits lange vorher geklärt. In Argentinien schließen sich Parteien im Wahlkampf in der Regel zu Bündnissen zusammen, zwecks Optimierung der Siegeschancen. Auch die Kandidaten-Duos, die in diesem Jahr ins Rennen um Präsidentschaft und Vizepräsidentschaft gehen, werden allesamt von Mehr-Parteien-Allianzen unterstützt.

Wer am Sonntag mehr als 1,5 Prozent der Stimmen bekam – in manchen Provinzen lag die Hürde ein wenig höher -, hat sich für eine Teilnahme an der eigentlichen Wahl im Oktober qualifiziert. Der Urnengang am Sonntag hatte also einen eher formalen Charakter. Gleichzeitig war er ein Stimmungstest, vor allem in Hinblick auf die Frage, ob Mauricio Macri, vom sozialkonservativen Parteienbündnis „Juntos por el cambio“ (deutsch: Gemeinsam für den Wechsel) getragener Präsident, im Oktober die Wiederwahl gelingt. Der Verkündigung des Ergebnisses in der Nacht zu Montag sah das Land deshalb mit großer Spannung entgegen.

Dieses Ergebnis ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Lediglich 32 Prozent votierten für Marci und seinen peronistischen Vizepräsidentschaftskandidat Miguel Ángel Pichetto, knapp 48 Prozent hingegen für den Herausforderer Alberto Ángel Fernández und seine Kandidatin für das Stellvertreter-Amt, die frühere Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner. Die beiden Letztgenannten sind mit "Frente de todos" in den Wahlkampf gezogen, übersetzbar mit Volksfront, einem Bündnis, in dem der Kirchnerismus den Ton angibt, benannt nach Nestor und eben Cristina Kirchner, Staatsoberhäupter von 2003 bis 2007 beziehungsweise von 2007 bis 2015.

Auch Meinungsforschung erlebte ihr Waterloo

Nicht das Duo Macri-Pichetto, auch die Meinungsforschung hatte damit ihr Waterloo erlebt. Dass der Präsident, vor allem aufgrund der sich anstauenden wirtschaftlichen Herausforderungen, die Vorwahl verlieren würde, war allgemein prognostiziert worden. Dass die Niederlage derart krachend ausfiel, dass Macri trotz Amtsbonus mit knapp 16 Prozentpunkte hinter dem Herausforder-Duo mit dem eingängigen Namen Fernández-Fernández ins Ziel gehen würde, hatte niemand auf der Rechnung. Entsprechend tief saß der Schock bei den Vertretern des Oficialismo, des Regierungslager.

Derzeit sind Politiker, Experten und Analysten vor allem mit der Frage beschäftigt, ob und, wenn ja, wie sich der Rückstand in den kommenden Wochen noch aufholen lässt. Ein Blick auf die reinen Zahlen ist für das Macri-Pichetto-Lager wenig ermutigend. Sechs Kandidaten-Duos haben die Hürde der Vorwahl am Sonntag erfolgreich genommen, sie treten nun bei den Präsidentschaftswahlen in Oktober gegeneinander an. Sieger ist laut Verfassung, wer mindestens 45 Prozent der Stimmen auf sich vereint. Bereits mit vierzig Prozent hat man gewonnen, falls die Zweitplazierten mindestens zehn Prozent hinter dem eigenen Ergebnis zurückliegen.

Rein rechnerisch kaum noch eine Chance

Falls die Ergebnisse im Oktober ähnlich ausfallen wie am Sonntag, mit knapp 48 Prozent für Fernández-Fernández, würden die beiden in den kommenden Tagen die Casa Rosada beziehen, den Amtssitz des Präsidenten im Herzen der Hauptstadt Buenos Aires. Sind die oben genannten Bedingungen allerdings nicht erfüllt, kommt es Ende November zu einer Stichwahl zwischen den beiden Bestplatzierten. Auch dabei hätte Macri rein rechnerisch selbst dann kaum noch eine Chance, wenn sämtliche Wähler, die in der ersten Runde für einen der drei übrigen nicht-kirchneristischen Kandidaten gestimmt haben, für ihn votieren würden.

Bei den drei übrigen kirchnerismuskritischen Präsidentschaftskandidaten handelt es sich um den ehemaligen Peronisten Roberto Lavagna, den liberalen Wirtschaftsprofessor José Luis Espert und den christlich-konservativen Abtreibungsgegner Juan José Gómez Centurión.

Die gegenwärtige Situation dürften ihm und Pichetto auch nicht eben zur Hilfe kommen. Die galoppierende Inflation macht den Argentiniern zu schaffen. Fernández-Fernández müsste im Endspurt des Wahlkampfs noch einen wirklich gravierenden Fehler machen. Anders wäre ein signifikanter, wahlentscheidender Teil der kirchneristischen Wähler nach Einschätzung von Experten kaum dazu bereit, die Seiten zu wechseln.

Mit linkspopulistischen Parolen und Hammerschlägen

Ein anderer Strohhalm, an den sich die Macri-Regierung derzeit klammert, ist die Wahlbeteiligung. In Argentinien herrscht Wahlpflicht. Die Wahlbeteiligung am Sonntag lag bei rund 75 Prozent. Dass die Wahlbeteiligung nicht deutlich höher lag, ist dem Umstand geschuldet, dass eine Nichtteilnahme nicht ernsthaft und konsequent sanktioniert wird. Die Strafzahlung beläuft sich auf einhundert Pesos, je nach Wechselkurs zwischen ein und zwei Euro. Und nicht einmal die werden systematisch eingetrieben. 

Bei den eigentlichen Wahlen im Oktober dürfte die Wahlbeteiligung, so lehrt die Erfahrung, die Achtzig-Prozent-Marke knacken. Auf diese rund fünf Prozent neuer Votanten setzt das Macri-Lager.

Die Märkte haben auf die Niederlage Macris und das Szenario einer baldigen Rückkehr des Kirchnerismus prompt reagiert: Der argentinische Peso verlor quasi über Nacht rund dreißig Prozent seines Werts. Alberto Fernández gibt sich seit seinem auch für ihn überraschenden Triumph am Sonntag betont moderat, stets darum bemüht, dem Eindruck entgegenzutreten, seine Politik werde dem Beispiel des mit linkspopulistischen Parolen und Hammerschlägen politisch und ökonomisch ruinierten Venezuela folgen, lange Zeit ein Leitstern nicht nur der lateinamerikanischen Linken. Mehrfach hat er versichert, ein Bruch mit den Vereinbarungen mit dem Internationaler Währungsfonds (IWF) sei für ihn keine Option. Gleichzeitig hat er betont, dass die hohe Verschuldung das Land in eine vertrackte Situation manövriert habe. Würde er zum Präsidenten gewählt, werde er mit dem IWF über die Themen Zinsen und Tilgungsfristen neu verhandeln.

Mit neosozialistischer Agenda vor die Wand gefahren

Die Reaktion der Märkte am Montag dürften auch deshalb so heftig ausgefallen sein, weil viele Fernández für ein Feigenblatt halten, hinter dem sich das eigentliche Machtzentrum verborgen hält. Cristina Fernández de Kirchner hatte in den Jahren an Staatsspitze einen Teil des Peronismus in eine Basis ihres persönlichen Fortkommens verwandelt und Argentinien mit einer neosozialistischen Agenda wirtschaftlich und institutionell vor die Wand gefahren. Gegen sie laufen derzeit mehrere Korruptionsverfahren. Inhaftiert werden kann sie allerdings nicht. Sie ist Senatorin. An ihrer Immunität würde sich natürlich nichts ändern, wenn sie zur Vizepräsidentin gewählt würde. Alberto Fernández sah sich bereits mehrfach genötigt, Sorgen zu zerstreuen, sie würde ihn nach einer Phase des taktischen Stillhaltens ersetzen, nach seinem vorzeitigen freiwilligen oder erzwungenen Amtsverzicht.

Natürlich muss sich Macri Kritik gefallen lassen. Die Bilanz seiner ersten - und gegebenenfalls einzigen - Amtszeit fällt bescheiden aus. Einer der Hauptvorwürfe des Kirchnerismus lautet, er habe das Land mit einer neoliberalen Wirtschaftphilosophie in die Krise gestürzt. Nichts ist falscher als das. Macri hatte sein Amt 2015 in der Tat mit einer Reformagenda angetreten. Der Arbeitsmarkt sollte flexibilisiert und das Steuersystem reformiert werden. Viel passiert ist nicht. Das Problem war zu wenig Liberalisierung, nicht zu viel. Macri hat bei seiner Pressekonferenz am Tag nach den Vorwahlen auf die Haben-Seite seiner Regierung hingewiesen, auf Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung, auf eine verbesserte Infrastruktur, auf Erfolge im Bereich innere Sicherheit. Diese Themen aber waren nicht wahlentscheidend. Auch in Argentinien gibt man sein Votum ab nach einem Blick in den Geldbeutel. Und der ist nach wie vor leer.

Und mittendrin die eigentliche Wahl

Die größte Sorge gilt nun der Zeit bis zur Bestallung eines möglichen neuen Präsidenten. Die findet am 10. Dezember statt, in knapp vier Monaten. Dem Land droht bis dahin eine weitere Verschärfung der wirtschaftlichen und monetären Krise. Keine gute Perspektive. Und mittendrin - man muss vielleicht nochmal daran erinnern - die eigentliche Wahl, Ende Oktober.

 

Dr. Lars-André Richter leitet das Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF) in Buenos Aires. In seinen Zuständigkeitsbereich fallen die Länder Argentinien und Paraguay.

Marcelo Duclos ist Mitarbeiter im FNF-Büro Buenos Aires und verantwortet dort u.a. den Bereich Kommunikation.