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Antisemitismus
Vorurteile gegen Juden - auf dem Pausenhof und im Lehrerzimmer

Ein Rückblick unserer Arbeit mit Ben Salomo an Schulen in Deutschland
Foto: Ben Salomo vor Schülern

Es ist immer das gleiche Bild, wenn der jüdische Rapper Ben Salomo nach ein paar Minuten die Schilderungen seiner ersten antisemitischen Erlebnisse unterbricht und den Schülerinnen und Schülern, die ihm bis dahin bereits gebannt gelauscht haben, zwei Fragen stellt. „Wer von Euch kennt eine Jüdin oder einen Juden persönlich?“, ist die erste Frage, und es gehen manchmal fünf Hände, manchmal auch zwanzig Hände nach oben, nie aber melden sich mehr als ein Fünftel der Anwesenden. Ganz anders ist die Reaktion nur einen Moment später. Mindestens drei Viertel der Schülerinnen melden sich auf die Frage, wer von ihnen Gerüchte über Juden kennt.

Auf den ersten Blick mag dieses Ergebnis nicht irritieren. Auf den zweiten ist es aber der Beleg dafür, dass auch 75 Jahre nach dem Ende des Holocausts das Thema Antisemitismus nicht hoch genug auf der Agenda der politischen Bildung stehen kann. Denn Antisemitismus, so hat es Theodor W. Adorno schon 1945 treffend formuliert, sind bereits Gerüchte über die Juden. Und die sind auch unter Schülerinnen und Schülern heute noch weit verbreitet.

„Juden sind alle reich“ oder „Die Juden ziehen im Hintergrund die Strippen“, altbekannte antisemitische Erzählungen also, sind genauso bekannt wie die Behauptung, „die Juden“ steckten hinter den Flüchtlingsbewegungen, um Deutschland zu schwächen. Aber auch Gerüchte über Israel als jüdischen Staat sind reichlich im Umlauf, von der Geschichte, die Israelis würden mit geraubten palästinensischen Organen Geschäfte machen, bis hin zu der Behauptung, hinter dem IS würden die Juden stecken, deswegen hieße der jüdische Staat ja auch IS-rael.

Bei jeder weiteren Veranstaltung wird aufs Neue deutlich: Schulen sind auch nur ein Spiegelbild der Gesellschaft. Und genau wie im Rest der Gesellschaft reichen die Reaktionen auf diese Gerüchte von ungläubigem Kopfschütteln und lautem Lachen ob der Absurdität bis hin zu der Verteidigung genau dieser absurden Gerüchte. Dabei wird eines immer wieder klar: Das Problem betrifft durchaus auch Teile der Lehrerschaft. Dann endet der kontroverse Diskurs manchmal, bevor er überhaupt begonnen hat. An einer Schule kam es erst gar nicht zu der ursprünglich geplanten Veranstaltung zum Thema „Antisemitismus im Deutsch-Rap“. Begründung des Kollegiums: Wenn ein Israeli (!) – Ben Salomo – dort sprechen soll, muss neben ihm auch ein Palästinenser zu Wort kommen. Als ob in Deutschland Antisemitismus erst ein Thema wäre, seitdem es den Nahost-Konflikt gibt.

Unter den Schülerinnen und Schülern spielen Deutsch-Rapper wie Kollegah oder Bushido, die Sozialen Netzwerke, aber auch Erzählungen aus dem Familienumfeld oder aus arabisch- oder türkischsprachigen Fernsehprogrammen offensichtlich eine wichtige Rolle, wenn es um die Frage geht, wo sie mit antisemitischen Gerüchten und Verschwörungstheorien in Kontakt kommen. Immer wieder trifft man auf Schülerinnen und Schüler, die so überzeugt sind von dem, was sie in ihrer Lebenswelt hören, dass sie für rationale Argumente kaum erreichbar scheinen.

 

Dagegen steht eine Reihe von wirklich bewegenden Geschichten, die Hoffnung machen. Da waren etwa die beiden Schülerinnen auf einer Förderschule in Ostdeutschland, die gegen den ausdrücklichen Willen ihrer offen rechtsextremen Eltern unbedingt an der Veranstaltung mit Ben Salomo teilnehmen wollten. Und da war etwa das syrische Mädchen im Saarland, das vor etwas mehr als zwei Jahren nach Deutschland kam und sich zuvor in der Klasse nie gemeldet hatte. Nach dem Vortrag von Ben Salomo allerdings ergriff sie das Wort. Sie habe ein Video auf ihrem Handy, das zeige, wie Juden den Koran verbrennen. Was er davon halte, wollte sie wissen. Nach der Veranstaltung ließen wir uns das Video von ihr zeigen. Es ließ sich recht schnell auflösen, dass es sich um Bilder von einer Aktion eines norwegischen Rechtsextremisten handelte. Doch die arabischen Untertitel behaupteten etwas anderes. Von wem das Mädchen das Video habe? Von ihren Eltern, war die schockierende Antwort. Ihr allerdings konnte man anmerken, dass sie dankbar war für die Aufklärung. Sie will ganz offensichtlich keine Juden hassen, auch wenn es ihr zuhause vorgelebt wird.

Am Ende eines intensiven Jahres steht die Erkenntnis, dass die Arbeit gegen Antisemitismus an Schulen erschreckend aktuell bleibt. Nicht nur geschürt durch oftmals antisemitisch konnotierte Texte aus dem Deutsch-Rap ist Judenhass auf den Schulhöfen quer durch die Republik, von Privatgymnasien bis zu Förderschulen, ein bekanntes Phänomen. Kaum eine Schule, an der Lehrer oder Schüler nicht von Vorfällen berichten konnten, mit denen in vielen Fällen auch nicht sonderlich klug umgegangen wurde. Den engagierten Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern zur Seite zu stehen und sie mit guten Argumenten zu versorgen, bleibt eine wichtige Aufgabe der politischen Bildung.

Die Arbeit der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in diesem Themenfeld geht deshalb auch in diesem Jahr weiter. Wer mit Ben Salomo auch an seiner Schule diskutieren möchte, findet hier die wichtigsten Informationen.

#ClapForCrap ist eine Initiative der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, die für die offene Gesellschaft wirbt. Wir glauben, dass sich jeder Mensch frei entfalten können sollte. Doch Diskriminierung, Intoleranz und Ausgrenzung (Crap) schränken diese persönliche Freiheit ein. #ClapForCrap setzt ein Zeichen gegen diesen Crap.