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al-Quds-Tag
"Bedrohung von Juden am al-Quds-Tag ist unerträglich"

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wendet sich gegen den institutionellen Antisemitismus am al-Quds-Tag
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

© Tobias Koch

In diesem Jahr haben die Welt und auch wir Deutsche viel zu feiern: Die Einführung des Frauenwahlrechts vor hundert Jahren, die Verabschiedung des Grundgesetzes vor siebzig Jahren, die erste bemannte Mondlandung vor fünfzig Jahren. Doch 2019 jährt sich in Teilen der Welt auch ein „Feiertag“, dessen Beweggründe an Niederträchtigkeit kaum zu überbieten sind. Vor vierzig Jahren, im August 1979, rief der iranische Revolutionsführer Ajatollah Chomeini den al-Quds-Tag aus, den sogenannten Internationalen Jerusalem-Tag. 

Was nach einem friedlich-religiösen Feiertag klingt, ist nichts weniger als ein von religiösen Eliten verordneter Aufruf, Hass und Antisemitismus in die Öffentlichkeit zu tragen. Schon Chomeinis Postulat zum ersten al-Quds-Tag war an Blutrünstigkeit nicht zu übertreffen: Alle Muslime sollen den Usurpatoren und ihren Unterstützern die Hände abhacken mit dem Ziel, Jerusalem von seinen zionistischen Besatzern zu befreien. 

Fundamentalisten und Rechtsradikale als Stammpublikum

Nun könnte man meinen, dass ein solch offen antisemitischer Appell in einer aufgeklärten Gesellschaft wie der unseren keinerlei Resonanz erhält – doch weit gefehlt: Seit den Achtzigerjahren versammeln sich auch in Deutschland am letzten Samstag des Fastenmonats Ramadan hunderte Antisemiten, um Parolen wie „Zionisten ins Gas“ zu skandieren und dem Staat Israel die Vernichtung zu wünschen.

Wer denkt, dass sich bei einer solchen Versammlung lediglich schiitische Fundamentalisten zusammenrotten, täuscht sich: Auch deutsche Rechtsradikale und deren Hassprediger gehören zum Stammpublikum der Großveranstaltung. Natürlich könnte man beschwichtigen, dass einige hundert fahnenschwenkende Extremisten keine reale Bedrohung für unsere Gesellschaft darstellen, doch das Problem liegt tiefer: Die jüngsten Entwicklungen in Deutschland zeigen, dass antisemitische Ideologien stark verbreitet sind. Laut einer Studie der EU-Grundrechteagentur aus dem letzten Jahr haben mehr als vierzig Prozent der in Deutschland befragten Juden in den vergangenen zwölf Monaten antisemitische Anfeindungen erfahren. Die Angst der jüdischen Gemeinde vor Übergriffen und sozialer Ausgrenzung wächst. 

Nicht nur als Antisemitismusbeauftrage des Landes Nordrhein-Westfalen, sondern als Mensch, der in einer offenen, toleranten Gesellschaft leben möchte, ist die Bedrohung von Juden wegen ihres Glaubens für mich unerträglich. 

Präsenz zeigen

Es ist pervers, dass Juden Angst haben müssen, die Straße zu überqueren, während am al-Quds-Tag Antisemiten durch ebenjene ziehen – in einem Land, das die Sicherheit Israels zur Staatsräson erklärt hat. Das können, das dürfen wir als Gesellschaft nicht zulassen. Der Kampf gegen den Antisemitismus ist eine Aufgabe der Gesamtgesellschaft. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, sich der Judenfeindlichkeit, wo immer sie uns auch begegnet, entgegenzustellen. Wir müssen uns gemeinsam für religiöse Toleranz und eine starke, offene Gesellschaft engagieren.

Als Antisemitismusbeauftragte sehe ich es als meine Aufgabe und die Aufgabe meiner Kolleginnen und Kollegen in Bund und Ländern, Präsenz zu zeigen: Es müssen staatliche Anlaufstellen eingerichtet, Kinder und Jugendliche in der Schule für das Thema sensibilisiert und Projekte, die sich für religiöse und eine offene Gesellschaft einsetzen, unterstützt werden. Diese Maßnahmen können den Kampf gegen Antisemitismus unterstützen – doch sie sind kein Allheilmittel.

Wenn institutionell geförderter Antisemitismus am al-Quds-Tag auf die Straße getragen wird, kann eine staatliche Anlaufstelle kaum helfen. Dann kommt es auf uns und die Kraft der offenen Gesellschaft an: Setzen wir ein Zeichen gegen den Antisemitismus – zeigen wir, dass Hass und Intoleranz bei uns keinen Platz haben. Ich schließe mich dem Appell meines Kollegen Felix Klein daher aus vollem Herzen an: Tragen Sie am Samstag eine Kippa: solidarisieren Sie sich mit Israel, seinen Einwohnern und allen Juden weltweit.