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Todestag
Der liberale Fortschrittsgedanke in den Umbrüchen der Moderne

Neue Blicke auf Friedrich Naumann
Naumann Band
Der Band ist beim Nomos Verlag erhältlich

Heute vor über 100 Jahren, als die erste deutsche Demokratie von Geburtswehen erschüttert wurde, starb Friedrich Naumann. Vor 85 Jahren, als die Weimarer Republik schon wieder Geschichte war, widmete ihm Theodor Heuss eine bis heute in ihrer Materialfülle unübertroffene Biographie und vor sechs Jahrzehnten, als zwei deutsche Teilstaaten existierten, begann eine umfassende Ausgabe von Naumanns Werken zu erscheinen. Auch im wiedervereinigten Deutschland beschäftigen sich verschiedene Wissenschaftsdisziplinen immer noch oder wieder mit Wirken und Werk Naumanns. 

Denn diese waren einerseits ungemein vielseitig, gingen weit über die Politik im engeren Sinne hinaus und umfassten auch Religion, Bildung, Kunst und weiteres. Naumann war dabei immer bedacht, liberale Antworten auf die Herausforderungen der Moderne zu geben. Andererseits war er zugleich stark vom „wilhelminischen“ Geist seiner Zeit geprägt, suchte aber in diesem danach, was er als zukunftsweisenden Fortschritt in Richtung auf eine liberal-bürgerlichen Gesellschaft zu erkennen meinte und dem er dann politisch zum Durchbruch verhelfen wollte. Nicht in jedem Punkt waren seine Antworten auf Dauer tragfähig, teilweise hat er sich auch, beispielsweise in seinen außenpolitischen Anschauungen, selbst korrigiert. 

Solche Korrekturen und auch Fehleinschätzungen konnten angesichts der Umbrüche, die der Aufstieg der Moderne gerade für Deutschland mit sich brachte, nicht ausbleiben. Ungeachtet dessen wies Naumann aber auch vielfach in Richtungen, die im späteren Verlauf des 20. Jahrhunderts in Politik, Staat und Gesellschaft erhebliche Relevanz bekamen und Resonanz erhielten. Dabei half es auch, dass etliche von denen, die zu Beginn des vorigen Jahrhunderts in den Bann Naumanns geraten waren, als „Naumannianer“ bzw. „Naumannianerin“ in der Weimarer Republik und dann vor allem in der Bundesrepublik - allen voran Theodor Heuss – an politische und gesellschaftliche Schalthebel gerieten und so ein bis heute andauerndes Nachleben begründeten.

Ein neuer Sammelband nimmt jetzt diese Naumannsche Vielfältigkeit wieder in den Blick. In den Fokus rücken Naumanns Verständnis von politischer Kultur, sein Verhältnis zur Religion und zur Frauenemanzipation ebenso wie seine innen- und außenpolitischen Konzeptionen und seine Verfassungsvorstellungen. Fragen, in welcher Weise seine Ansätze in der Bundesrepublik weiterwirkten, etwa in der politischen Bildung oder im Umfeld der Freien Demokraten, beschließen den Band. In einem guten Dutzend Beiträgen von Expertinnen und Experten wird versucht, Größe, aber auch Grenzen des Namensgebers der liberalen politischen Stiftung in der Bundesrepublik erneut zu vermessen und zugleich zu diskutieren, ob und wie seine Erfahrungen und Schlussfolgerungen für eine Welt, die in ähnlicher Weise großen Umbrüchen unterliegt, ggf. wieder nutzbar gemacht werden können.

Jürgen Frölich, Ewald Grothe, Wolther von Kieseritzky (Hrsg.): Fortschritt durch sozialen Liberalismus. Politik und Gesellschaft bei Friedrich Naumann. Baden-Baden: Nomos Verlag 2021, 303 S., 64,00 €, ISBN 978-3--8487-6696-3

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